Musik, die ihren Hörer auf die ein oder andere Weise berührt, ist alles andere
als selten. Nach Musik aber, die ohne jeden Umweg direkt ins Herz trifft, muß
man lange suchen. Oder auch nicht. Denn eigentlich findet Tobias Gruben
jeden, der den Pfaden des deutschen Undergrounds der 80er und frühen 90er
Jahre einigermaßen sorgsam folgt, wie von selbst. Da erscheint es dann schon
recht paradox, daß ein Tobias Gruben beispielsweise im Zirkus der deutschen
Musikpresse nie so recht präsent war. Im Prinzip fatal, denn wie kein anderer
vereinte Gruben sensiblen Umgang mit der deutschen Sprache und intuitives
Klanggefühl zu grandiosen Kompositionen unglaublicher Tiefe. Mit anderen
Worten: Tobias Gruben war ein moderner Barde, hatte die Musik einfach im
Blut. Nicht zuletzt deshalb zählen wir seine - der Öffenlichkeit
weitgehend un-
bekannten - Titel "Denk nicht", "Abstand", "Ich fliege mit dem Wind" oder "Die
Liebe" zu den hörenswertesten Stücken der ernsthaften zeitgenössi
schen
deutschen Liedkunst überhaupt. Doch alles von Anfang an.
 

Tobias Gruben
wurde 1963 als Kind eines Archäologen und einer Dolmetsche-
rin in Athen geboren, wuchs in Starnberg auf. Nach ersten musikalischen Ver-
suchen mit der Band 'Die Vier Kaiserlein' (Christoph Schlingensief u.a.) siedelt
er Anfang der 80er Jahre nach Hamburg über. Dort wird Gruben Sänger der
Band 'Cyan Revue' und pflegt mit dieser eine Art Gruft Rock (1984-87 drei
Platten u. zahlreiche Touren, u.a. mit 'Alien Sex Friend'). Nach der Auflösung
von 'Cyan Revue' gründet Gruben die Underground-Band 'Die Erde'. Der
Musikstil wandelt sich, die Texte werden zunehmend deutschsprachig (4 Plat-
ten, Tour mit 'Einstürzende Neubauten'). Nach der Auflösung der 'Erde' 1990
folgt eine recht konfuse Zeit: Tobias Gruben gründet das Projekt 'Heroina',
es folgen daraufhin Jahre des Komponierens mit einfachsten Mitteln, ohne
Mitmusiker. 1994 ruft Gruben schließlich die Band 'Sol' ins Leben, die kurze
Zeit später wieder 'Die Erde', besser gesagt, 'Die Erde II' heißt. Für 1997 ist
eine umfangreiche Veröffentlichung neuer Titel bei 'what's so funny about'
geplant. Am 2.12.1996 verstirbt Tobias Gruben in Hamburg über raschend
an einer Überdosis Heroin.


Egal ob alleine an Soundmaschine/Gitarre oder mit voller instrumentaler Unter-
stützung der 'Erde': Grubens Lieder sprühen vor Experimentierfreudigkeit und
bleiben
der herkömmlichen Low-Fi Welt dennoch sonderbar fremd. Die ge-
lungene Synthese von instrumentaler Perfektion und emotionaler Spontanität,
das ist wohl der rote Faden, der sich durch Grubens Musikjahre zieht. Und genau
das ist es auch, was an seiner Musik so fasziniert. Ebenso wie Grubens Fähig-
keit, harte Umgangssprache und eine regelrecht poetische Textform zu einem
stimmigen lyrischen Ganzen zusammenzufügen.
Grubens schier bedingungslose
stilistische Offenheit ergibt sich aus alldem beinahe wie von selbst. Das Reper-
toire reicht von exquisiten Stücken beinahe klassischer deutscher "Liedermacher-
schule" (Gitarre, Soundmaschine) über deutlich vom Hip Hop (!)  beeinflußte
Sprechgesanglieder bis hin zu Coverversionen von Traditionals und L. Cohen-
titeln. Grubens eigentliche Stärke ist wohl aber der seinen Wurzeln bei "Cyan Re-
vue" am nächsten liegende sehr elektonisch geprägte "Avantgarde Rock".  Im
Prinzip ist es aber müßig zu versuchen, das musikalische Werk Tobias Grubens
nach Schubladen zu kategorisieren. Denn eigentlich schuf er immer (das merkt
man besonders beim Hören der Coverversionen) seine ganz eigene, persönliche
Musikwelt. Bitter sarkastisch und verzweifelt, im Prinzip aber immer einen spärli-
chen (dafür umso eindringlicher erlebten) Hoffnungsschimmer vor Augen blickt
Gruben in dieser auf unsere Erde, und besonders auf das Innere der Menschen
hier. Ja, Gruben erzählt das Leben und hebt dabei manchmal schon auch den
Finger, das aber, ohne belehrend zu wirken. Denn die Gefühlswelten, um die es
geht, sind autentisch. Was mit Grubens traurigen Liedern entsteht, ist eine ganz
eigene Art von Poesie. Schön und schrecklich zugleich. "Meine Zahl ist ohne
Nummer / Die Liebe frißt das Leben / Das Leben frißt den Kummer  / Willst Du
kalt sein, heiß oder lauwarm? / Daß er Dich ausspeiht, wie die falsche Gottheit/
Einerlei. Meine Zahlen sind im Roten / Jetzt, gerade jetzt ist keine Vorsicht mehr
geboten ..." (aus "Abstand"). Manchmal, so etwa im Lied "Regen", wirkt Tobias
Gruben wie
ein neuzeitlicher Barde, der gegen das Böse der Welt ansingt. Von
regelrecht sphärischer Leichtigkeit sind dagegen Titel wie "Ich fliege mit dem
Wind", in die Gruben auch schonmal italienische Textpassagen mit einflechtet.
Löst er sich Gruben dann einmal von seiner Tristess, scheinen dem Aberwitz
dann plötzlich Tür und Tor geöffnet: Die subtile Ironie von "Moni" und  "Ham-
burger Schlampe" sucht anderso schon ihresgleichen - und wirft ein famoses
Licht auf die andere Seite des Musikers Gruben. 
 

Wir möchten abschließend besonders auf die von Tobias Gruben als Basis für
spätere Veröffentlichungen vorgesehenen 'Homerecording-Stücke' hinweisen, die
der Öffentlichkeit posthum von 'what's so funny about' und den Geschwistern Imo-
gen & Sebastian Gruben zugänglich gemacht wurden. Bei diesen handelt es sich
um von Gruben 'unplugged' im Studio bzw. in seiner Wohnung eingespielte Roh-
fassungen, die etwa "die zynische Wahrheit", "sieben Tage", oder "meine weiße
Welt" heißen. Hier, in den privatesten seiner Stücke, zeigen sich musikalisches
Genie und Persönlichkeit
Tobias Grubens am schönsten, so abründig die Stim-
mung auch sein mag, welche gerade diese Lieder vermitteln. Was die Musik
gewährt, ist ein frappierend offener Einblick in eine verzweifelte, gegen dunkle
Schatten kämpfende menschliche Seele. In diesen, von enttäuschter Liebe,
Sucht, Depression und Tod handelnden Liedern kann und wird sich jeder wieder-
finden, der ähnliches erleidet. Und der sie hört, wird verstehen, warum TOBIAS
GRUBEN der MEISTER DER MELANCHOLIE war.
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  Im Rahmen des Nachveröffentli-
chungsprojekts
sind weiterhin
erschienen:

- CYAN REVUE - IN LOVING
   MEMORY
- DIE RESTLICHE ERDE
- TOBIAS GRUBEN SINGT
- TOBIAS GRUBEN - WEISS
 
 


CD Rezensionen Die Erde : a,b
Nachruf von Florian Langmaack  



 
 












 
 

 
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